Die deutsche Filmbranche wird grün
Nicht erst seit der Berlinale 2020, in deren Rahmen öffentlichkeitswirksam 24 Sender, Filmförderungen, Medienunternehmen, Verbände und andere Institutionen im Bundeskanzleramt eine „Gemeinsame Erklärung“ unterzeichneten, in der sie sich zu größerer Nachhaltigkeit in der Film- und Serienproduktion verpflichten, versucht die Filmbranche auch in Deutschland, deutlich grüner zu werden. Insbesondere die Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg ist hier eine treibende Kraft, welche zum Beispiel einen CO2-Emmissionsrechner für Filmproduktionen entwickelt und bereits 2017 den von ihr geleiteten Arbeitskreis „Green Shooting“ gegründet hat. Dieser arbeitet seither konsequent an einer Transformation hin zu einer ökologisch nachhaltigen Produktionsweise. Zu diesem Arbeitskreis zählen neben der MFG die Produktionsunternehmen Bavaria Fiction, Constantin, UFA, We are era und Ziegler Film, die Sender ARD, Mediengruppe RTL, ProSiebenSat.1, Sky, SWR und ZDF, die Streamingdienste Disney+ und Netflix, die MOIN Filmförderung, die deutsche Filmakademie und die Filmverbände Produzentenallianz sowie Verband Technischer Betriebe für Film und Fernsehen. Am Rande der diesjährigen Berlinale verständigten sich Kulturstaatsministerin Claudia Roth, der Arbeitskreis „Green Shooting", die Filmförderungen der Länder und der Filmförderungsanstalt (FFA) auf die Schaffung einheitlicher ökologische Mindeststandards für die deutsche Film-, TV- und Video-on-Demand-Wirtschaft (VoD).
Hervorzuheben ist bei diesen Bestrebungen die von der MFG initiierte Ausbildung zum Green Consultant, in deren Rahmen sich die unterschiedlichsten Filmschaffenden, oftmals Aufnahmeleiter*innen, Produktionsassistent*innen oder Redakteur*innen weiter qualifizieren, um so Filmproduktionen nach den aktuellen „grünen“ Maßstäben zu betreuen und die Beschäftigung einer solchen Fachkraft wird sogar von der Filmförderung gefördert. So können Projekte mithilfe möglichst ressourcenschonender Produktionsmethoden ökologisch-nachhaltig hergestellt werden. Über eine entsprechende Expertise für das sogenannte „Green Shooting“ verfügen auch die Green Consultants des Green Office Karlsruhe auf dem Alten Schlachthof, die bereits 2018 eine entsprechende Weiterbildung an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe unter der Leitung des ausgewiesenen Nachhaltigkeits-Experten für die Filmbranche Philip Gassmann (www.greenfilmtools.com) initiierten und seitdem zahlreiche Projekte betreut haben sowie in Form von entsprechenden Veranstaltungen versuchen, die hiesige Branche für das Thema zu sensibilisieren, auch durch ihren wöchentlichen Green Shooting-Tipp im Filmboard Karlsruhe-Newsletter und ihre Mitarbeit in der Arbeitsgruppe „Nachhaltigkeit“ der AG Filmfestivals Deutschland.
Nachhaltigkeit beginnt im Kopf und das zeigt sich auch in der Filmbranche. Immer wieder ist festzustellen, dass sich neue nachhaltige Konzepte, Innovationen, Technologien und Verhaltensmuster eher dann durchsetzen, wenn man deren Sinnhaftigkeit aufzeigt und vermittelt, dass dies zum Teil tatsächlich einen Mehrwert oder sogar eine Vereinfachung von Arbeitsprozessen darstellt. Denn oftmals ist in den Köpfen der Menschen verankert, dass Nachhaltigkeit einen Mehraufwand und höhere Produktionskosten bedeutet. Doch dies stimmt so in Summe nicht. Wichtig erscheint, Nudges, also Anreize zu schaffen und auf Verbote zu verzichten, da sich so – meistens unbewusst – eine Abwehrhaltung einschleicht. Es gilt, Alternativen aufzuzeigen, die sinnvoll und leicht in der Anwendung oder in der Beschaffung sind. Es erscheint strategisch zielgerichteter, die Menschen nicht gegeneinander auszuspielen, sondern alle da abzuholen, wo sie sich befinden und für effiziente umweltfreundliche Lösungen mit einzubinden.
Beim „Green Shooting“ schauen sich die Green Consultants alle Bereiche einer Produktion genau an. Dies beginnt schon beim Produktionsbüro, der dortigen Infrastruktur, dem Ressourcenmanagement, geht weiter über die eigentliche Produktion bis hin zur Postproduktion und zur Fertigstellung des Films bis hin zu dessen Vertrieb.
Einer der Haupttreiber für CO2-Emmission einer Filmproduktion, das sieht man im Vergleich verschiedener Projekte im C02-Emmissionsrechner der MFG Baden-Württemberg, sind die Reisewege und die Unterbringung von Cast und Crew. So ist hier eines der Hauptziele, auf ökologisch sinnvollere Transportwege wie die Bahn umzusteigen, zumindest inländisch. Filmstars werden hier auch gerne einmal mit kostenlosen Bahncards 100 gelockt, um zum Beispiel den Weg ins Badische aus Berlin mit der Bahn und nicht mit dem Flieger anzutreten. Immer möglich ist das natürlich nicht, im Falle notwendiger Flüge lohnt sich dann ein Blick auf Fluglinien, die besonders nachhaltig agieren. Natürlich schlägt auch der Transport vor Ort zu Buche, denn gilt es schließlich auch, Equipment, Material und Trailer zu den Drehorten zu bringen, auch werden für die Infrastruktur vor Ort zudem Stromgeneratoren, Toilettenanlagen oder auch Cateringequipment benötigt, bis hin zu großen Maschinen, Kränen und Baufahrzeuge bei großen Drehs. Zu beobachten ist, dass hier ebenfalls immer mehr nachhaltige Gefährte zum Einsatz kommen, die Nutzfahrzeugbranche denkt ebenfalls um.
Auch bei der Unterkunft wird heute sehr stark darauf geachtet, wie nachhaltig Hotels und Pensionen aufgestellt sind, sodass der Druck für die Hotelbranche, sich entsprechend aufzustellen und auch entsprechend zertifizieren zu lassen, immer weiterwächst. Der DEHOGA hat hier eine Liste der wichtigsten Zertifikate und Siegel für Umweltschutz und Nachhaltigkeit im Gastgewerbe zusammengestellt.
Wenn es um die Berechnung der CO2-Emmissionen geht, spielt die Größe einer Produktion eine immense Rolle. So kann festgestellt werden, dass Independent-Produktionen, die sparsam agieren müssen, schon von sich aus bestimmte Nachhaltigkeitsprinzipien erfüllen, indem sie zum Beispiel Kostüme und Requisiten anderer Produktionen zweitverwerten, die Drehlocations besonders nah aneinanderlegen, um Transportwege zu vermeiden oder auch, um weniger Infrastruktur vor Ort aufbauen zu müssen.
Wichtig erscheint, das komplette Team von Anfang an mitzunehmen, also klar darzustellen, warum ein Projekt nachhaltig umgesetzt werden soll und jede/r Einzelne einen wichtigen Teil dazu beitragen kann, das Ganze zu einem Erfolg werden zu lassen. Konnte man vor ein paar Jahren in bestimmten Bereichen noch Abwehrhaltungen beobachten, hat sich die Situation mittlerweile stark verändert, sicherlich auch deshalb, weil die Klimaerwärmung als globales Problem gesehen wird, bei dem jede noch so kleine Umstellung auf Nachhaltigkeit hilft. Und wichtig erscheint hierbei insbesondere, Nachhaltigkeit auch als Prozess zu sehen. Einen funktionsfähigen Halogen-Strahler sofort auszumustern und durch eine energiesparende LED-Leuchte zu ersetzen, sollte durchaus hinterfragt werden. Bei einer notwendigen Neuanschaffung sollte dann aber auf jeden Fall die Leuchte mit der besseren Ökobilanz präferiert werden. Möglichkeiten, auf sparsamere Geräte oder Produkte umzusteigen, gibt es hier in sämtlichen Bereichen, sei es die Anschaffung eines emissions-armen und sparsamen Kopierers oder Drucker (bei einer Filmproduktion fallen immense Kopienzahlen an, selbst wenn digitale Kopien forciert werden), sei es bei neuen Produktionsfahrzeugen oder sei es bei neuen umweltfreundlichen Baumaterialien für Requisiten oder Bühnenbau, gerade auch, um Müll am Set zu reduzieren. Die Technologien existieren bereits, haben mitunter aber bisher nur keine sehr große Lobby oder sind eben noch unbekannt.
Ein schwieriges Thema war hier lange Zeit das Set-Catering und der aus Nachhaltigkeitsgründen geforderte Fleischverzicht, da eine der teuersten Komponenten in der Bio-Versorgung, natürlich regional und saisonal, der Fleischpreis ist. Entsprechend wurde eine große Umfrage von Changemakers.film und Crew United realisiert, um zu überprüfen, wie die Einstellung der Filmschaffenden in Deutschland zum Fleischkonsum ist. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass eine Mehrheit von Filmschaffenden am Set kein Fleisch aus konventioneller Tierhaltung essen will. Über 80 % der Befragten findet es zudem ausreichend, wenn es nur einmal in der Woche Fleisch gibt, dafür aber in Bioqualität. 51 % machten deutlich, dass sie ihren Fleischkonsum generell reduzieren wollten und 42,1 % aller Teilnehmer*innen gaben an, bereits gar kein Fleisch mehr zu essen.
Insgesamt scheint der Hinweis wichtig, dass man nicht gleich sein Auto abschaffen und das Bürogebäude umgebaut werden muss, um nachhaltig zu agieren. Dennoch handeln viele Menschen nachhaltig, ohne zu wissen, dass sie dies bereits tun. Nachhaltiges Handeln bedeutet genaugenommen auch nicht Verzicht, vielmehr geht es darum, die Ressourcen und die Umwelt zu schonen und gegen die Klimaerwärmung anzukämpfen und hier gibt es noch viel zu tun. Denn lebten alle Menschen auf der Erde wie die Menschen in Deutschland, bräuchte es im Jahr 2022 drei Erden, so das Fazit des diesjährigen Erdüberlastungstags. Von einem sinnvollen Umgang mit unseren Ressourcen scheinen wir also ganz im Gegenteil noch weit entfernt zu sein. Daher sollte sich jede/r die Frage stellen, ob das eigene Handeln nachhaltig ist und wie man persönlich dazu beitragen könnte, seine eigenen Bedürfnisse aufmerksam zu überprüfen und neue Verhaltensmuster zu etablieren.
Kritiker kommentieren gerne mit Klischees, die oft auf Stigmatisierungen und Falschinformationen basieren. Es erscheint ratsam weniger auf negatives Gerede und Schreier zu hören und mehr aus seinem eigenen Bedarf heraus zu handeln. Man könnte beispielsweise den alten Kühlschrank durch ein klimaeffizientes Gerät oder die alte Glühbirne durch eine Energiesparlampe ersetzen. Angesichts des Insektensterbens könnte im Garten oder auf dem Balkon eine kleine Ecke mit Wildblumen für Insekten und ein kleines Insektenhotel an der Hauswand angebracht werden. Vielleicht könnte man Waren auch in einem Unverpackt-Laden einkaufen oder auf Umverpackungen im Supermarkt verzichten. Und man kann sich an Best Practice-Beispielen wie Skandinavien oder Shenzhen, der ersten vollelektrischen Stadt in China, orientieren. Oder an den vielen Beispielen der deutschen Filmbranche, welche Nachhaltigkeit und ökologisches Handeln schon auf vielfältige Weise leben.
Artikel von Nadine Knobloch und Oliver Langewitz
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